Gedanken und Ideen für die gewerkschaftliche Jugendbildungsarbeit in der DGB Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin

Franziska Frielinghaus, März 2013

In dem folgenden Text geht es weniger um eine Beschreibung und Evaluation der aktuellen gewerkschaftlichen Jugendbildung in der DGB Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin als vielmehr um meine Entwicklung einer Perspektive dieser.

Ich beschränke mich als Gewerkschafterin und Jugendbildungsreferentin (und Teamerin) auf mögliche konkrete Ansätze für die Praxis. Diese speisen sich zu einem großen Teil aus meiner Arbeit im weiten Feld der kritischen Berufsorientierung: Die gesellschaftspolitische Bedeutung von Arbeit; Perspektiven nach der Schule; Übergang Schule Beruf; Bewerbungstraining; die Bedeutung von Geschlecht in der Arbeitswelt; allgemein: gewerkschaftliche Themen als roter Faden. Ein kleinerer Teil aus der Konzeptarbeit zum Thema Gender; JuleiCa Schulungen; Seminare zu Kommunikation im Beruf.

Ist-Stand gewerkschaftliche Bildung

Die Politikwissenschaftlerin Julika Bürgin (2013) schreibt, dass Gewerkschaften zu den größten Trägern außerschulischer politischer Bildung in der BRD gehören. Sie haben drei Alleinstellungsmerkmale: mehrere Millionen Mitglieder sind hier organisiert; sie agieren im Handlungsfeld Arbeit und Betrieb, wo sie eine „spezifische Durchsetzungsmacht entfalten“ und die Bildungsarbeit ist „auf kein bildungsbürgerliches Milieu zugeschnitten oder gar begrenzt“ (Bürgin 2013:14). Sie spricht von einem gewerkschaftlichen Bildungssubjekt1, welches die Angebote wahrnimmt.

In ihrer Untersuchung befasst sie sich mit den Herausforderungen der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung unter veränderten Arbeitsbedingungen. Ich selbst sehe hier ebenfalls einen Ansatz, um konkret über die Jugendbildung als Vorfeldarbeit in einem Gewerkschaftshaus nachzudenken. Ich sehe im Bereich der kritischen Berufsorientierung einen sehr engen Bezug zum gewerkschaftlichen Handlungsfeld Betrieb und Arbeit und sehe mich zunehmend vor der Herausforderung, neoliberalen Arbeitsbedingungen, auf deren vermeintliche Alternativlosigkeit die Jugendlichen heute oft schon in der Schule vorbereitet werden, inhaltlich und didaktisch adäquat zu begegnen.

Eine der Herausforderungen in der politischen Bildungsarbeit ist es, Jugendlichen die Grundlagen für das Verständnis der Gesellschaft, in der sie leben und arbeiten sollen, nahe zu bringen. Für zentral dabei halte ich es, ihnen Rollen- und Handlungsoptionen zu eröffnen, statt sie mittels Festzurren und Einhegung auf vorkonstruierte Identitäten wie z.B. Persönlichkeit, Geschlecht und Herkunft der Möglichkeiten des selbstbestimmten materiellen Handelns2 und des utopischen Denkens zu berauben. Dies ist umso schwieriger, da sich nicht nur Gewerkschaften in der Krise befinden, sondern auch deren Bildungsarbeit (vgl. Bürgin 2013). Es gibt derzeit keine Konzepte, die fertige Antworten auf die aktuellen Probleme geben.

In den Seminaren mit Jugendlichen aus Berlin und Brandenburg spielt Mitgliederwerbung keine Rolle. Meistens habe ich es mit jungen Menschen zu tun, die zum ersten Mal von Gewerkschaften, deren Aufgaben und Angeboten hören. Aus meiner Einschätzung heraus bietet dieser Erstkontakt die Möglichkeit zu sehr wertvoller Vorfeldarbeit. Als gewerkschaftliche Jugendbildungsreferentin stehe ich dabei vor der Aufgabe, Möglichkeiten aufzuweisen und Angebote zu formulieren, die auf das neoliberale Konzept von individueller Konkurrenz auf einem kapitalistischen Arbeitsmarkt und die damit verbundene uneingeschränkte Verwertung und Vernutzung der menschlichen Arbeitskraft als Ware zu reagieren. Durch unsere Arbeit haben die jungen Menschen die Chance, sich als Menschen zu erkennen und in der Folge sich auch unter den Bedingungen von Lohnarbeit als Menschen zu realisieren, sich als solche zueinander ins Verhältnis zu setzen und letztlich ihre menschliche Würde im Arbeitsprozess zu bewahren.

Bildungsideal und –anspruch

Bürgin schreibt von einer kritisch-emanzipatorischen gewerkschaftlichen Bildung. Der Begriff klingt etwas sperrig, bestimmt aber meines Erachtens die wesentlichen Ansprüche, die (m)eine Bildungsarbeit haben sollte:
„Kritisch ist Bildung, wenn sie ihre eigene Praxis und gesellschaftliche Funktion kritisch betrachtet“ (Bürgin 2013:18, kursiv im Original). Sie ist emanzipativ, wenn sie gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen aufnimmt und zur Aufklärung und Befreiung des einzelnen Menschen beiträgt. „Kritisch-emanzipatorische Bildung verzichtet weder auf eine Perspektive emanzipatorischer Praxis noch auf eine Kritik der Gesellschaft, zu der auch die Bildungsverhältnisse selbst gehören“ (ebda. 19, kursiv im Original). Fragen, Probleme und Themen, die gesellschaftliche Verhältnisse tangieren und klären, sind Gegenstand politischer Bildung (vgl. ebda.).

Diese wären im Bereich der kritischen Berufsorientierung meines Erachtens:
a) Die Forderung zum einen nach einer menschenwürdigen Erwerbsarbeit, auf die der oder die Beschäftigte stolz sein kann. Zum anderen Arbeitslosigkeit vom Stigma des unpolitischen Arbeitsunfähigkeitszustandes zu befreien, wie der Journalist Owen Jones (2012) schreibt. Das hieße, die Forderung nach einem nicht nur existenz-, sondern auch die gesellschaftliche, soziokulturelle Teilhabe sichernden Grundeinkommen für Alle, wie es die Gewerkschaften zum Teil fordern, in die Perspektiventwürfe aufzunehmen.
b) Bewusstsein der Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Behinderung, Alter, Hautfarbe, sexueller Orientierung, Klasse fördern und konkrete Handlungsoptionen aufzeigen.
c) Ein Verständnis globaler ökonomischer Zusammenhänge vermitteln und sich selbst als Subjekt darin begreifen: „Mündig arbeiten bedeutet, sich reflektiert zu den Anforderungen verhalten zu können, die an das eigene Arbeits-, Reproduktions- und auch Lernhandeln gerichtet werden“ (Bürgin 2013:231, kursiv im Original). Denn: „Die neuen Verhältnisse der Arbeit bringen mehr Selbständigkeit, aber nicht mehr Autonomie für die Beschäftigten hervor. Beschäftigte müssen tun, was zu tun ist. Die bisherigen Formen, die eigenen Interessen in heteronomen3 Verhältnissen zu vertreten (Organisation, Kollektivität) implodieren und neue sind noch nicht in Sicht“ (Bürgin 2013:230).
d) Durch Wissensaneignung (interessengeleitet und/oder als Notwendigkeit) Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die die Arbeitenden durch erhöhte Selbstbestimmungs- und Freiheitsgrade einer gerechteren Gesellschaft näher bringen.
e) Sich als arbeitenden Menschen und damit als möglichen Teil einer demokratischen Bewegung der organisierten Arbeit („Gewerkschaft“) begreifen, in der globale Rechte (und Pflichten) solidarisch verhandelbar sind.
f) In der Jugendbildungsarbeit auch utopische Elemente zulassen und fördern, die Hoffnung in die Wirkung der Jugendbildungsarbeit dabei aber nicht überstrapazieren: „Gewerkschaftliche Bildungsarbeit kann utopisch sein und eignet sich gerade deshalb nicht, in ihr die Erfüllung von Zielen zu suchen, an der die politische Praxis gegenwärtig scheitert. Die kritisierten Verhältnisse sind gesellschaftlich und lassen sich nicht durch Bildung aufheben. Arbeitspolitische Bildung ersetzt Arbeitspolitik nicht“ (Bürgin 2013:257).

Gedanken zur Praxis

Lehren, was mich interessiert und vor allem Fragen stellen, deren Antwort ich noch nicht weiß.

Der Philosoph Jaques Ranciere (1987) beschäftigt sich mit der Rolle des_der Lehrenden und den Ansprüchen, die diese_r mitbringen sollte: „Wer lehrt, ohne zu emanzipieren, verdummt. Und wer emanzipiert, hat sich nicht darum zu kümmern, was der Emanzipierte lernen muss. Er wird lernen, was er will, nichts vielleicht“ (Ranciere 1987:28f). Ich als Bildnerin, Teamerin, Jugendbildungsreferentin muss mir also Gedanken darum machen, was ich lehren möchte und nicht was die Jugendlichen lernen sollen. Ich muss mir Gedanken darum machen, ob es mir gelingt, den Teilnehmenden zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen. Jede_r Teilnehmende soll selbständig und unabhängig von dem Stoff, den ich mir zurecht gelegt habe, entscheiden, was er oder sie tun, verfolgen, aufnehmen möchte. Es sind nicht nur die Inhalte, die eine Bildung zu einer linken, gewerkschaftlichen, emanzipativen und kritischen machen, sondern auch die Form ihrer Darbietung: die Didaktik. Darin besteht eine der großen Chancen der außerschulischen Bildungsarbeit, dass sie diesen Grad von Freiheit bietet.

„Lehren worin man unwissend ist, bedeutet ganz einfach Fragen stellen dazu, worin man unwissend ist“ (ebda. 43). Was weiß möglicherweise der_die jugendliche Seminarteilnehmer_in? Was kann ich über deren Lebenswelt erfahren? Woran lassen sie mich Anteil haben? Welche für mich interessanten neuen Aspekte ergeben sich? Welches sind die jeweiligen Prämissen-Gründe-Zusammenhänge, die ich verstehen und die mir Anhaltspunkte geben, wie ich als Teamerin agieren kann? Das Ziel dieses Austausches und Lernprozesses ist ein simples, wenn auch nicht geringes und leichtes. „Es würde für alle genügen zu lernen, sich als gleiche Menschen in einer Gesellschaft der Ungleichheit anzusehen. Das bedeutet, sich zu emanzipieren“ (ebda. 155). Das bedeutet Bildung vom Standpunkt des Subjektes mit politischen emanzipativen Zielsetzungen.

Was wäre dann eine mögliche Praxis? Wie sähe diese Bildungsarbeit konkret aus?

Bürgin schreibt, dass Seminare Fragen und praktische Herausforderungen der Bildungssubjekte in den Mittelpunkt stellen sollen, so dass sich das Bildungsarrangement auf den jeweiligen Handlungskontext bezieht (vgl. Bürgin 2013:233f). Das bedeutet, dass ich die Erfahrungen der Subjekte selbst in den Mittelpunkt der Seminare stelle und einen thematisch bestimmten Austauschraum als Rahmung zur Verfügung stelle. Ich wäre dann auch Bildungsbegleiterin und nicht nur Bildungsreferentin.
Ich gebe dir mein Wissen und zeige dir meine Arbeitswelt, so dass ich gänzlich entbehrlich für dich werde.

Die Soziologin Jean Lave und der Lernforscher Etienne Wenger (1991) stellen das Konzept des „situated learning“ vor und beziehen sich auf Lernverhältnisse in Ausbildungen. Sie beschreiben Lernen als legitime periphere Partizipation. Lernende sind legitimierte Mitglieder einer „community of practice”4. Die Aneignung des Wissens und der Fertigkeiten setzt eine vollständige Teilhabe an den soziokulturellen Praktiken in einer Community voraus5. Periphere Partizipation bedeutet die Verankerung des Subjekts und seiner Lernhandlungen in der sozialen Welt. Legitime periphere Partizipation zielt nicht nur auf die Herausbildung von sachkundigen Identitäten in der Praxis, sondern auch auf die Reproduktion und Transformation von Communities von Experten. Lave und Wenger betonen die signifikante Rolle der verwendeten Sprache in Lernhandlungen zur Weitergabe von Wissen. Gerade auch in Abgrenzung zu formellen Lernkontexten, wo im wesentlichen durch Vormachen und Nachahmen Lehre vollzogen wird, bietet die verbale Anleitung in informellen Lernkontexten eine wesentlich höhere Bandbreite und Allgemeingültigkeit an Verständnis6. „Situated learning” in „communities of practice” meint also das gegenstandsbezogene Lernen mit dem Ziel, dem Lernsubjekt alles vorhandene Wissen zu vermitteln und es somit selbst zum Experten_in werden zu lassen.7

Nun stehe ich bei der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in der DGB Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin (DGB JBS FZ) vor dem Problem, dass Seminare in der Regel drei bis fünf Tage dauern und einmalig sind. Damit kann kein Prozess des situativen Lernens angestoßen werden und eine community of practice ist nicht umsetzbar.

Das Prinzip wäre möglicherweise bei einem weiteren Ausbau von Schulkooperationen praktikabel. Hierbei wäre es notwendig, nicht nur den Lehr-Lern-Prozess zwischen Teamer_innen der Bildungsstätte und den jugendlichen Teilnehmenden anzustoßen, sondern in die Praxis auch Lehrkräfte und Erziehungsberechtigte einzubeziehen. Die „community of practice“ ist mehrdimensional und nicht starr in seinem Gefüge von Lehrenden und Lernenden zu sehen. Das bedeutet, dass sich viele verschiedene Akteur_innen auf verschiedenen Ebenen in einem Bildungsprozess befänden.

Einen weiteren Ansatz für dieses Konzept sehe ich in der Analyse des Projektes „active progress8“, welches sich mit jugendlichen Schulabbrecher_innen befasst und bei dem die DGB JBS FZ am Rande beteiligt war. Der Evaluationsbericht hebt die enge Zusammenarbeit von Erziehungsberechtigten, Schule, Gewerkschaften, Unternehmen hervor. Er hält die Schaffung anderer Lernorte mit praktischer Ausrichtung und Teilhabe und Mitbestimmung zur Erhöhung des Selbstwertgefühls der Jugendlichen für notwendig (vgl. active progress 2012).

Ein weiteres Praxisbeispiel, mit dem die DGB JBS FZ bereits in der Vergangenheit zu tun hatte, sind die Zukunftscamps9, die meines Erachtens das Konzept „community of practice“ in einigen Aspekten umsetzen.

Wir kooperieren in unseren lebensweltlichen Bezügen miteinander.

Die kritische Psychologin Christina Kaindl (2009) bezieht sich auf den kritischen Psychologen Klaus Holzkamp und schreibt, dass sich ein Subjekt zum Lernen entschließt, wenn es auf ein Handlungsproblem stößt. Diese Begründung kann fremdbestimmt sein und bei Ignoranz zu Handlungseinschränkungen führen. Sie kann auch aus den eigenen Interessen heraus formuliert sein. In der Regel ist in den Seminaren mit Jugendlichen aus Berlin und Brandenburg beides vorzufinden. Die Jugendlichen haben sich in den meisten Fällen nicht aus eigener Motivation heraus entschieden, zu dem Seminar zu kommen. Allerdings lassen sich häufig Interessen Einzelner herausfinden. Die Berücksichtigung dieser im Seminar kann zu neuen Perspektiven und Handlungsoptionen führen. „Emanzipatorische Bildung müsste also versuchen, die Anstrengungen des Lernens nicht als Problem zu sehen, sondern dazu beitragen, zwischen der quälenden Langeweile und Widerständigkeit beim fremdbestimmten, defensiven Lernen und der gleichwohl an eigenen Erkenntnisinteressen orientierten Anstrengung expansiver Lernbewegungen zu unterscheiden” (Kaindl 2009:146f).

Das bedeutet:
* Erfahrungen der Teilnehmenden in den Mittelpunkt stellen.
* Interessen der Teilnehmenden ernst nehmen.
* Verweigerungshaltungen, mit dem sich emanzipatorische Bildung verbünden kann, aufgreifen (Kaindl bezieht sich auf Holzkamp1995).
* Lehrende sollen tun, was sie für interessant halten und die Teilnehmenden partizipieren lassen: „Für die politische Bildungsarbeit könnte die Entwicklung partizipativen Lernens bedeuten, Bereiche der gesellschaftlichen Realität als Gegenstände von Auseinandersetzungen anzubieten“ (Kaindl 2009:151). Hier könnte die Arbeit mit dem Material „Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt...“10 als biographischer Zugang dienlich sein, der die Möglichkeit eröffnet gemeinsam die Fragen zu behandeln, die die Erzählungen aufreißen.
* Das gemeinsame, selbstorganisierte Lernen – das kooperative Lernen umsetzen ( Kaindl bezieht sich auf Holzkamp 1995).

„Emanzipatorische Bildungsprozesse ermöglichen in Auseinandersetzung mit der Welt Selbstveränderung. [...] wenn sie zum Hinterfragen der pädagogischen wie allgemein-gesellschaftlichen Verhältnisse anregen, ohne Antworten vorzugeben; wenn sie Angebote machen und Argumente vorstellen, ohne Fragen abzuschneiden und eigene Widersprüche zu verdecken. Die Teilnehmenden von emanzipatorischen Bildungsveranstaltungen sind (potentielle) Verbündete im Kampf für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen der Mensch kein verächtliches, unterdrücktes, verlassenes Wesen ist, und so sollten sie auch behandelt werden. Anderenfalls werden sie keinen Grund sehen, ihre Interessen in diesem Kampf aufgehoben zu sehen – und sie hätten recht” (Kaindl 2009:153).

Was kann ich dir als Gewerkschafterin über Arbeit erzählen, wenn es keine schlagkräftige Gewerkschaft gibt und auch du vielleicht bald eine_r von vielen Erwerbslosen sein wirst?

„Bildung überwindet den gesellschaftlichen Widerspruch nicht, sondern verarbeitet ihn“ (Bürgin 2013:228). Viele der Jugendlichen, die in unsere Seminare kommen, haben schlechte Chancen in der Konkurrenz um Arbeitsplätze. Darüber hinaus sind sie oft der Meinung, dass sie wenig können, wenig wert sind oder zum „Harzen“ bestimmt sind. Wenn sie aus Berlin kommen, geht mit dieser Selbsteinschätzung häufig jedoch eine gute Portion Selbstbewusstsein einher. Leben die Jugendlichen im Land Brandenburg, teilen sie diese positive Einstellung selten.

Als Teamende kann ich ihnen Orientierung im Feld der Berufe geben; kann ihnen Handlungsoptionen durch Rollenspiele aufzeigen; kann sie in ihrer Suche begleiten, ermutigen, wertschätzen. Ich kann mit ihnen Fragen zu Arbeit, Arbeitsmarkt, Globalisierung, Schullaufbahnen, Rechten und Pflichten in der Ausbildung erörtern, mein Wissen weitergeben, mein Unwissen transparent machen, meine eigenen Fragen formulieren. Fällt mir dabei auf, dass Jugendliche sich nicht für einen Beruf entscheiden können, dass sie absehbar nicht auf dem Arbeitsmarkt bestehen werden, dass sie sich scheinbar nur für Karriere und Geld interessieren, dass es so aussieht, als würden sie sich für gesellschaftliche Verhältnisse und Ungerechtigkeiten nicht interessieren, dann sollte ich versuchen, sie zu verstehen (verstehen heißt nicht: gut finden). Sie müssen mich ein Stück in ihre Lebenswelt hineinlassen und ich muss ihnen Fragen stellen, die sie aus ihrer Lebenswelt beantworten könnten, deren Antworten ich nicht kenne, die mich aber aufrichtig interessieren.

Dies ist vielleicht in Ansätzen bei dem Projekt11 mit der Heinrich-Rau-Oberschule in Rheinsberg, Land Brandenburg machbar. Denjenigen, die in der 10. Klasse keinen Berufswunsch haben und keine Bewerbungsunterlagen schreiben wollen oder können, passt offensichtlich das bisherige Format zum Thema nicht. Sie haben es in der 8. Klasse nicht geschafft und auch in der 9. Klasse hat es nicht geklappt. Ich sollte sie in ihrer Verweigerungshaltung ernst nehmen, dies als Geschenk und Bereicherung auffassen, sie als Verbündete auf meine Seite holen, um mit ihnen in ihren Suchbewegungen andere Wege des Erwachsenwerdens beschreiten zu können.

Dazu brauche ich mehrdimensionale Seminarpläne und entsprechende Bausteine. Dazu brauche ich eine gesellschaftsbewusste/-kritische Rahmung meiner Arbeit. Dazu muss ich die jugendlichen Teilnehmer_innen so ernst nehmen, wie mich selbst. Dazu muss ich stolz auf meine Arbeit sein und die Bezüge, die mir die Jugendlichen eröffnen, als Bereicherung in meine Tätigkeit aufnehmen. Jugendliche haben Interessen, die nicht meine sein müssen und auch nicht sein sollten. Nehme ich sie als Subjekte in ihrem Handeln ernst, kann ich einen kooperativen Lehr-Lern-Prozess einleiten. Fragen stellen und Antworten gemeinsam finden, wie es das Material „Der Fahrstuhl nach oben ist besetzt...“ ermöglicht, ist hinsichtlich des „situated learning“, des kooperativen Lernens, des Fragens statt Wissens, der Selbst-Bewusstwerdung als politischer Mensch, emanzipativ.

„Gewerkschaftliche Bildungsarbeit als Labor lebt vom Antrieb und der Neugierde, etwas herauszufinden, zu erkennen oder ein Problem zu lösen. Diese Prozesse zentrieren um das Nicht-Wissen. Dafür wird das Wissen und Produktionswissen aller eingesetzt. Die Beteiligten eignen sich gleichzeitig neues Wissen auch über die Generierung von Erkenntnis und über Praxisforschung an. Sie können dabei ihren (Erkenntnis-)Interessen und Bedürfnissen folgen, sich als ‚Communities of Practice’ organisieren und sind dabei weder Erfolgsbewertungen noch Performance-Anforderungen unterworfen. Die Laboratorien gewerkschaftlicher Seminare unterliegen nicht den Bedingungen des kapitalistischen Verwertungsprozesses und sind deshalb ein Rahmen für emanzipatorische Protopraxis“ (Bürgin 2013:255).

Literatur

* active progress: http://activeprogress.info/INGLES/, (6.2.2013) und Evaluationsbericht Modellprojekte zur Prävention von verfrühtem Schulabbruch und zur Eingliederung von jungen Menschen in die Arbeitswelt. Ein transnationaler Ansatz. VS/2011/0287, 2012
* Allespach, M. et al (Hg.): Politische Erwachsenenbildung: Ein subjektwissenschaftlicher Zugang am Beispiel der Gewerkschaften, 2009
* Bürgin, Julika: Gewerkschaftliche Bildung unter Bedingungen indirekter Arbeitssteuerung, 2013
* Dietrich, Reiner: Das Bildergespräch als Methode interkulturellen Lehrens und Lernens, In: A. Treichler, N. Cyrus (Hg.): Soziale Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft, 2004
* Historisch kritisches Wörterbuch des Marxismus http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=i:identitaet 10.11.2012).
* Holzkamp, Klaus: Lernen, 1995
* Jones, Owen: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse, 2012
* Kaindl, Christina: Über die Unmöglichkeit, emanzipatorische Ziele für Andere zu setzen. Anregung eines kritisch-psychologischen Lernbegriffs für linke Bildungsprozesse, In: Emanzipation in der politischen Bildungsarbeit, 2009
* Lave, Jean und Wenger, Etienne: situated learning, 1991/2007
* Leontjew, A.N. et al.: Probleme der Lerntheorie, 1974
* Marx, Karl : Thesen über Feuerbach, http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_005.htm, 5.2.2013
* Rancière, Jacques: Der unwissende Lehrmeister, 1987
* Zukunftscamp http://www.zukunftscamps.de/, (6.2.2013)

Endnoten

1 Das gewerkschaftliche Bildungssubjekt als doppelter Charakter: „Subjekt der eigenen Bildung zu sein und gleichzeitig mit anderen Subjekt der Organisation, die die Bildungsprozesse trägt“ (Bürgin 2013:14).

2 Der Philosoph und Ökonom Karl Marx: Thesen zu Feuerbach: „Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der menschlichen Verhältnisse.“ Es geht um das konkrete materielle Handeln des Menschen, der Geschichte macht.

3 fremdgesetzt

4 A community of practice is a set of relations among persons, activity, and world, over time and in relation with other tangential and overlapping communities of practice. A community of practice is an intrinsic condition for the existence of knowledge, nor least because it provides the interpretive support necessary for making sense of its heritage. Thus, participants in the cultural practice in which any knowledge exists, is an epistemological principle of learning. The social structure of this practice, its power relations, and its conditions for legitimacy define possibilities for learning... (Lave und Wenger 2007: 98)

5 To become a full member of a community of practice requires access to a wide range of ongoing activity, old-timers, and other members of the community; and to information, resources, and opportunities for participation. The issue is so central to membership in communities of practice that, in a sense, all that we have said so far is about access. (Lave und Wenger 2007:101)

6 The characterization of language in learning has, in discussions of conventional contrast between formal and informal learning, been treated as highly significant in classifying ways of transmitting knowledge. ... ...instruction by demonstration – learning by “observation and imitation” - is supposed to produce the opposite, a literal and narrow effect. (Lave und Wenger 2007:105)

7 In der dualen Ausbildung ist diese Herangehensweise zu finden, allerdings war und ist diese Qualität auch umkämpft.

8 http://schloss19.blogsport.de/2012/06/21/active-progress-konferenz-5-6-j...

9 http://www.zukunftscamp-altmark.de/

10 http://bildungsoffensive.net/

11 Seit mehreren Jahren kann in enger Kooperation zwischen der Schule und der JBS eine Bildungsarbeit realisiert werden, in der über drei Jahre mit den Jugendlichen gearbeitet wird.